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Wächter und Händler



Wächter und Händler


„Was tust du da?“
Janya blieb stehen und fing die Früchte wieder auf.
„Ich jongliere, oder wonach schaut’s aus?“ Sie biß in einen Pfirsich und lehnte sich in der menschenleeren Gasse an ein Regenfass. „Stört dich was daran?“ Und sie sah zu ihrer Schwester.

„Also, ich könnte das gerade überhaupt nicht!“ antwortete Kala und wich im letzten Moment im Zickzack einem Kamelreiter und einer Herde Ziegen aus, die quer über den Markt getrieben wurde. „Warum soll ich auch gerade zum Einkaufen gehen, wenn du weggehen willst? Wo bist du da überhaupt? Das sieht nicht gerade ... aaah!“ –und Kala landete der Länge nach in einem Teppichstand. Der Händler, der sie umgerempelt hatte, war schon einem Dieb hinterher verschwunden. Sie rappelte sich wieder hoch, lächelte dem ihr zueilenden Teppichhändler höflich ablehnend zu und glitt vorsichtig wieder in die Menge.

„Hast du bemerkt, wie der dich angeschaut hat?“ amüsierte sich Janya und streichelte die Katze, die auf das Faß gesprungen war. Am Ende der Gasse tauchte ein Mann mit einem Hund auf, und die Katze begann schon das Fell zu sträuben. Aber der Hund markierte nur die Ecke und verschwand. Die Katze entspannte sich wieder.
„Oh, sieh mal dort links, an dem Stand gibt’s Datteln! Bring mir bitte welche mit!“

„Bei Ruza?“ Kalas Blick ging kurz zu dem jungen Händler, doch nicht kurz genug, denn er hatte sie schon entdeckt. Sie und Janya seufzten gemeinsam, als er Kala anstrahlte. Seine schwarzen Augen schauten fröhlich unter schwarzen Löckchen hervor, und sein blendendes Lachen konnte sicher so manche Frau betören, doch nicht diese beiden. Es gab mehrere Gründe, ihn gelegentlich zu meiden, unter anderem seine ... naja... –überschwengliche Freude, sie zu erblicken?
„Oh zauberhafte Kala, welch glückliche Fügung der Götter, dich heute hier zu sehen!“ Er hatte sich eine Fackel geschnappt und war auf den Brunnen neben seinem Stand gesprungen, und einige Leute blieben stehen. Ruza umarmte die Statue einer kleinen, zierlichen Göttin und hielt die Fackel hoch in Kalas Richtung. „Dein rotes Haar ist wie ein feuriger Stern selbst in der Dunkelheit, und deine Augen schon sind leuchtende Smaragde, dein Gang so fließend wie Seide im Wind, und deine...“

„Tut mir leid... Ich hatte nur Augen für die Datteln, und...“

„Ist schon gut“ unterbrach Kala die andere, die sie in einer immer noch vollkommen leeren Gasse sah, allein bis auf die Katze. Dort wäre sie jetzt auch gern. Doch sie war jetzt hier, und stellte sich, mit verschränkten Armen und dem Korb in der Hand vor den Marktbrunnen.
„Ich sehe dich, Ruza“, sagte sie laut genug, und es blieben noch einige mehr stehen, als ohnehin schon dem Schauspiel folgen wollten. „Und was noch viel schlimmer ist: Ich höre dich!“ Einige lachten schon, doch Ruza entglitt nicht ein Muskel.
„O Schöne, mein Herz ist beglückt, daß du mir deine Aufmerksamkeit schenkst! Ich habe sie endlich gefunden, die zarten Drachenfrüchte, nach denen du verlangt hast, Frau meiner Träume! Nein, wende nicht deinen Blick ab, Licht meiner dunklen Nächte, für dich habe ich die köstlichen, seltenen blauen Drachenfrüchte finden lassen! Nun koste sie doch wenigstens, Angebetete, oder mein Leben wird vergehen!“
Die Geschichte schon wieder! Also manchmal war er wirklich kreativer! Ihre für en kleinen Körper erstaunlich kräftige Stimme hallte über den halben Platz, schien es ihr, als sie ihm so hochnäsig wie möglich und scheinbar zögerlich antwortete.
„Soso, du willst sie also bekommen haben?“ Sie tat so, als wolle sie gehen, überlege es sich dann aber noch anders, nachdem ein enttäuschtes bis empörtes Seufzen rund um den Brunnen erklungen war. „Nun, ich will nicht grausam sein, laß mich kosten, was du hast!“ Und damit ließ sie sich von Ruza unter viel Getön an seinen Stand geleiten, während eine Menge hoffentlich kaufwilliges Publikum ihnen folgte.

„Tja...“ seufzte Janya und trat auf die Straße der Blauen Quelle, wo sich die Schmuckmacher, Feinschmiede und Edelsteinschleifer ein Stelldichein gaben. Es war nicht direkt eine Straße, sondern eher ein riesiger Platz, auf dem 140 einzelne Häuser von genau gleicher Größe jedes für sich stehend in lockerer Ordnung verteilt waren. Seit der Gründung der Stadt Ragabash vor 1400 Jahren schon war der Platz angelegt worden, und nur 200 Jahre zuvor erst hatte man einmal 29 Häuser zu den existierenden 111 hinzugebaut, so verteilt, daß der von den Stadtvätern bestimmte Sicherheitsabstand zwischen den Häusern eingehalten werden konnte. Jetzt, wenn die Nachtmärkte geöffnet waren, schliefen jene, die am Tage die Handelsgüter der Karawanen kauften und verkauften, während ihre Straßen hell waren von den Lampen an jeder Hausecke.
Ragabash war wahrlich eine Stadt, die nie schlief; da Tag und Nacht genau gleich lang waren, wurden die Märkte genau aufgeteilt: Nachts, wenn es kühler war, wurden die Lebensmittel, die Tiere und alles Alltägliche auf dem großen Markt verkauft; und da auch die Karawanen zumeist nachts reisten war es ein faires System, daß alle, die rechtzeitig da waren, zu Sonnenaufgang ihre Gewürze, edlen Steine und Metalle, erlesenen Weine und vieles mehr zu Geld und wieder zu neuen Waren machen konnten. Den ganzen Tag wären dann die Händler geschäftig unterwegs, bis gegen abend hin die Tavernen, Werkstätten und Geschäfte allmählich öffneten, die Bauern aus dem Umland zur Abenddämmerung hin anrückten und bei Sonnenuntergang der Markt wechselte. Und jetzt, kurz nach Mitternacht, war hier niemand unterwegs bis auf den gelegentlichen Stadtwächter mit Wachhund. Jetzt war gerade keiner zu sehen.
Janya ging gemächlich unter den Lampen vorbei, wobei ihr Umhang einen unförmigen Schatten um sie warf. Ein Stück vor ihr kam ein reich gekleideter Mann aus einem Haus und stieg in eine wartende Sänfte, die sofort loslief. Gelassen schlenderte sie an dem Haus vorbei, und ging zwei Häuser weiter um eine Ecke. Eine kleine blaue Pforte stand einen kleinen Spalt offen, und sie schlüpfte hindurch.

„Gehst du zu Cat?“

Die Stimme in ihrem Kopf hätte sie fast springen lassen, so angespannt war sie gewesen. „Ja, gehe ich. Amüsierst du dich?“

„Haha“, bemerkte Kala sarkastisch. Sie teilte mit Janya den Geschmack der mehligen Frucht, die zu essen sie gezwungen war, und seufzte. „Laß dich nicht erwischen. Ich bring dir Datteln mit, auch wenn ich heute wirklich lieber dafür bezahlt hätte.“

Janya verzog das Gesicht ob des Geschmacks und lachte leise. „Mir passiert schon nichts. Grüß Ruza!“ Und damit blockte sie sich aus der geistigen Verbindung, ohne sie zu unterbrechen.

Kala schmunzelte geistig und beschloß, sich jetzt auch nicht mehr den Spaß verderben zu lassen, und brach aus dem üblichen Verkaufstrick Ruzas aus. Er wollte zwar diese halb matschigen, halb mehligen Früchte verkaufen, aber diesen Geschmack konnte sie niemandem antun.
„Nein Ruza!“ rief sie plötzlich über die Menge um seinen Stand herum. „Nein, hiermit willst du mich betrügen, du Schuft? Dies sei das Köstlichste, das du finden konntest?“ Mit –wie sie hoffte- entrüstetem Gesichtsausdruck erhob sie sich und hielt ihm die halbgegessene Drachenfrucht entgegen. „Nein, das beleidigt meinen Gaumen und macht mich sicher nicht gewogen, deine Frau zu werden. Gib mir etwas, um diese Beleidigung von meiner Zunge zu waschen! Da, diese Datteln!“ Und an einem verdutzten Ruza mit gefrorenem Lächeln auf den Lippen vorbei griff sie nach einer Frucht und aß sie mit Genuß. Sie unterbrach Ruza, bevor er den Mund richtig geöffnet hatte. „Diese sind besser! Gib mir davon, und ich werde mit - JANYAA!!“

Janya. Furcht. Ein fremdes Gesicht. Und dann... –Schwärze.

Kalas Knie schlugen auf dem Pflaster auf. Der Schrei, ihre Stimme. Ihre Schwester... nicht mehr da.
Jemand hatte sie bewußtlos geschlagen. Jemand hatte Janya niedergeschlagen!
Hände streckten sich nach Kala aus, um ihr zu helfen. Ruza scheuchte die Leute weg und nahm sie hoch, trug sie in den Schatten seines Standes zurück, und überließ den Verkauf einem seiner Mitarbeiter. Dort gab er ihr vorsichtig etwas Wasser zu trinken, während sie wieder zu sich kam.
„Ruza“, murmelte sie, „Janya... sie...“
„Schsch“, unterbrach er sie. „Hier, trink noch einen Schluck. So ist gut. Und jetzt ganz ruhig. Was ist passiert?“
„Janya... Sie wollte zu Cat... sie wurde niedergeschlagen, denke ich, im Keller des Goldschmieds, soweit ich sehen konnte. Jetzt ist sie bewußtlos.“ Sie biß sich in die Backen, um die Tränen zurückzudrängen, die in ihr aufstiegen. „Ich sehe sie nicht mehr, Ruza, sie ist nicht mehr da, sie...“
„Konntest du jemanden bei ihr sehen? Einen Hinweis?“
„Ich... nur einen Mann, den ich nicht kenne, aber sonst.. nein.“
„Beschreib ihn mir, Kala.“ So nervtötend sein Verkaufstheater sobald er eine von ihnen sah auch war, daß Kala und Janya ihm oft aus dem Weg gingen, so verläßlich war er doch immer in ernsten Zeiten, und man konnte auf ihn zählen. Außerdem kannten sie sich schon seit Kindertagen, und er war einer der wenigen, der um ihre Verbindung wußte.
Sie beschrieb den Mann, den sie gesehen hatte, einen breitschultrigen, bärtigen Kerl mit harten Augen, der einen Umhang mit einer silbernen Brosche getragen hatte.
„Die Brosche war geformt wie eine Wüstenrose, mit einem roten Band am Stiel, und ich glaube, der Mantel war grün, oder blau, jedenfalls dunkel. Woran erinnert mich bloß diese Brosche?“
„Haktun“, hauchte Ruza und erbleichte unter seiner Sonnenbräune. „Und der Mantel war wohl purpurn?“ Kala nickte. „Was hat sie getan, daß die Haktun hinter ihr her sind?“
„Die... –nein, das kann nicht sein. Was sollte die Geldeintreibergilde von ihr wollen? Sie hat keine Schulden, von denen ich weiß! Und ich habe auch keine!“ Sie verschloß die Augen vor der Wahrheit. Natürlich, wenn Janya Schulden gehabt hätte, hätte man vielleicht Kala, nicht aber sie selbst geholt.
„Und was ist mit ihrem Geliebten?“ fragte Ruza, und es fuhr Kala ins Herz. „Wenn er Schulden hat, ist sie ein offensichtliches Druckmittel. Schließlich ist diese Beziehung stadtweit ein offenes Geheimnis.“ Als er den Schmerz in Kalas Gesicht las, sagte er beruhigend: „Bleib ruhig. Wir werden sie sicher finden, spätestens, wenn sie wieder bei Bewußtsein ist. Dann kann sie dir sagen wo sie ist, und sie werden ihr vorerst nichts tun. Nicht, bis Cat die erste Frist hat verstreichen lassen.“
„Du hast recht, das wird das beste sein. Aber warum schaust du so besorgt? Ruza?“ Eine Ahnung stieg in ihr auf. „Ruza, wie lange dauert so eine Frist? Ruza?!?“
„Immer bis zur nächsten Dämmerung. Sie sollte also schnell aufwachen.“

Dunkelheit. Kopfschmerzen. Ein Gefühl, als sei ihr Kopf in Watte gepackt.
„Kala?“
Keine Antwort. Dort, wo die Präsenz ihrer Schwester hätte sehen sollen, war nur etwas wie grauer, dichter Nebel, undurchdringlich. Panik drohte in ihr aufzusteigen, denn so etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie war noch nie so von ihrer Schwester getrennt gewesen. Selbst, als Kala drei Monde lang in den Bergen in Trance gewesen war, hatte sie immer ihre Schwester gespürt, ihr Leben, doch nun war da nur diese Wand.
Konnten sie durch andere Telepathen getrennt werden? Sie wußte es nicht, wußten sie doch selbst erst seit kurzem, daß es Menschen mit derselben Begabung wie der ihren häufiger gab, als sie gedacht hätten.
Sie zwang sich zur Ruhe, obwohl sie vor Panik hätte schreien wollen. Ihr Gefängnis hatte drei Wände und eine niedrige Decke, in die eine Falltür eingelassen war, etwa einen halben Fuß über ihrem Kopf. Durch das kleine Gitter konnte sie nichts erkennen, außer daß es anscheinend noch dunkel war. Wer hatte sie im Keller des Goldschmieds niedergeschlagen? Sie konnte sich nur noch an einen Mann erinnern, der auf sie zugekommen war, und Cat in der Tür, und dann war alles schwarz geworden.
Cat... –Warum hatte er ihr nicht geholfen? Er hatte auch nichts gesagt. Das war merkwürdig... Wer war der Fremde gewesen? Sie... –nein, es entglitt ihr immer wieder. Sie seufzte schwer, und kämpfte gegen die Verzweiflung an, indem sie versuchte, den Nebel zu durchdringen, um Kala zu erreichen.

„Hier ist es.“ Kala klopfte an die kleine blaue Pforte in der Straße der Blauen Quelle. Nach einigen Augenblicken öffnete ein eingeschüchtert blickender alter Mann mit schütterem grauen Haar unter einem schludrig gebundenen Turban die Tür einen kleinen Spalt weit.
„Wer da?“
„Ich bin es, Kala. Mach mir auf, Sebasto!“ Er ließ die Frau und Ruza, der sie begleitete, herein. Es war etwa zwei Stunden vor Sonnenaufgang.
Kaum, daß die Tür wieder geschlossen war, verbeugte der alte Mann sich so weit, daß seine Stirn die Knie zu berühren schienen.
„Vergebt mir, Kala, ich konnte nichts tun, und der junge Meister...“
„Wo ist Cat?“ unterbrach sie ihn
„Ich weiß es nicht, Herrin! Der Haktun hat ihn fortgeschickt, um etwas zu besorgen, aber ich weiß nicht was! Der junge Meister hat doch gar keine Schulden, und der Herr auch nicht! Ich weiß nicht, was die Haktun wollen!“ Schluchzer erstickten fast die Worte des alten Dieners, und Kala versuchte, ihn zu beruhigen.
„Dich trifft keine Schuld, Sebasto. Du hast sicher getan, was du konntest.“
„Hat der Haktun oder Cat etwas gesagt, wo er hingehen sollte? Oder welche Richtung? Sebasto, wenn dir auch nur das geringste einfällt, dann sag es uns!“
„Der junge Meister sagte etwas vom Turm der Winde“, brachte der Alte schließlich stoßweise hervor. „Und er erwähnte auch das Tor der Neun Blüten. Aber er hatte doch heute keinen Dienst! Der.. der Haktun kam nur herein und befahl uns...“
Kalas Verstand raste. Der Turm der Winde war das Zentrum der Gewürzhändler am Rande der Stadt, dort, wo die Gewürzkarawanen aus dem Norden ankamen. Und das Tor der Neun Blüten lag am östlichen Stadtrand, wo die Wein- und Tuchhändler ihre Lagerhäuser hatten. Cat war nicht wie sein Vater Goldschmied geworden, sondern Mitglied der Magistratswache, der wichtigsten Eliteeinheit der Stadt, und diese bewachte nun einmal die Tore und die Lagerhäuser der Gilden. Was hatte das zu bedeuten?
„Wir könnten Azouf fragen“, sagte Ruza wie als Antwort auf ihre Gedanken. „Er ist Mitglied des Bürgerrates und weiß über fast alles Bescheid, was in der Stadt vorgeht.“ Auf ihren fragenden Blick hin erklärte er: „Er ist ein alter Bekannter von mir, wir haben uns schon öfters gegenseitig geholfen. Wir können ihm vertrauen.“
„Wenn du das sagst. Wo finden wir ihn? Wir müssen uns beeilen!“

Schritte in der Dunkelheit über ihr. Fackelschein fiel durch das kleine Gitter, und Janya konnte gerade noch die Augen zukneifen, bevor die Falltür gehoben wurde. Eine kräftige Hand packte sie an der Schulter und zog sie, obwohl sie keineswegs leicht war, aus dem Verließ und schubste sie, kaum daß sie wieder auf den Füßen stand, den Gang hinunter.
„Los, Bewegung. Der On’Haktun wartet nicht gerne.“
Die Haktun, natürlich. Das war es gewesen, was an ihrem Bewußtsein gezupft hatte! Während sie den Gang hinunter und zwei Treppen hinauf stolperte, überlegte sie fieberhaft, was die Haktun –noch dazu ihr Oberhaupt!- von ihr wollen könnte, und wie sie durch diesen Nebel zu ihrer Schwester durchstoßen könnte. War die Wand dünner geworden? Sie hatte den Eindruck, war sich aber nicht sicher.
„Kala!“ Ihr geistiger Ruf verlor sich abermals im Nichts.

Vor einem unauffälligen Haus hinter den Fischmärkten blieb Ruza stehen und sah Kala an.
„Erreichst du Janya jetzt?“
„Nein, aber ich glaube, daß sie noch lebt. Ich denke, daß ich ihren Tod sicher spüren würde, auch wenn sie noch bewußtlos ist.“
„Dann horche weiter nach ihr, und laß mich hier das Reden übernehmen. Azouf ist manchmal etwas eigen.“ Seinem Gesichtsausdruck nach nahm Kala an, daß „eigen“ wohl eine ziemlich milde Umschreibung war, sagte aber nichts, als er anklopfte und sie kurz darauf eingelasssen wurden. Er machte ein Handzeichen, und der Mann, der ihnen geöffnet hatte, nickte wortlos und führte sie tiefer ins Haus in einen reich mit glänzenden Kacheln und dicken Kissen ausgestatteten Raum, in dem der süße Duft einer Wasserpfeife hing wie ein Vorhang. Ein dicklicher Mann lag auf einigen Kissen, leichtbekleidete Mädchen links und rechts neben ihm, und er winkte Ruza mit einer ringbedeckten Hand heran.
„Ah, Ruza, junger Freund, setz dich! Was für ein süßes Täubchen hast du dir da mitgebracht? Sind dir meine Mädchen nicht mehr zart genug?“ Sein anzüglicher Blick glitt wie gierige Finger über Kala, doch nach einem warnenden Blick ihres Freundes schluckte sie den spitzen Kommentar, der ihr auf der Zunge lag.
„Ich grüße dich, Azouf. Mögen deine Tage erfolgreich und deine Nächte glücklich sein“, erwiderte Ruza förmlich, bevor er sich dem Dicken gegenüber auf ein Kissen sinken ließ. „Nein, diese kleine Schönheit ist weder für dich noch für mich bestimmt, sondern für die Haktun. Wie ich hörte, gibt es etwas zu feiern, und sie brauchen Frischfleisch für ihre Feier. Weißt du, worum es da geht?“
Kala mußte sich anstrengen, um nicht hörbar nach Luft zu schnappen. Sie hatte nicht gewußt, daß Ruza auch mit solchen „Früchten“ handelte! Aber sie kämpfte ihre Empörung nieder, um sich und Ruza nicht zu verraten.
„Die Haktun?“ Azouf kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Da mußt du etwas falsch verstanden haben, Junge. Die Haktun haben sicher nichts zu feiern, weil der Magistrat demnächst wahrscheinlich neue Gesetze erlassen wird, die ihre Rechte gewaltig einschränken werden.“ Er zog genüßlich an der Wasserpfeife und räusperte sich. „Es wurde aber auch Zeit, daß man denen endlich mal Zügel anlegt. Mit ihrer Finger- und Rippenbrecherei machen sie alle Arbeitskräfte kaputt. Burim Said hat den Vorschlag gestern dem Bürgerrat vorgelegt, und es wurde mit deutlicher Mehrheit zugestimmt. Er ist ein energischer Mann, dieser Burim, und wenn er die anderen Said im Magistrat überzeugen kann, werden die Haktun nicht länger so freie Hand haben.“
„Burim Said?“ fragte Ruza. „Ist er nicht erst vor einigen Wochen in den Magistrat aufgestiegen?“
„Ja“, nickte Azouf. „Aber er ist sehr energisch, und das könnte einer seiner ersten großen Erfolge werden. Morgen abend will er in seinem Haus ein Fest für die Angehörigen des Magistrates und des Rats geben, und hat bei den Weinhändlern schon Unmengen an Süßigkeiten und Gewürzwein bestellt. Ich freue mich schon darauf; man sagt, er sei ein sehr gute Gastgeber –in allen Dingen“ fügte er vielsagend hinzu und musterte Kala wieder gierig, doch diesmal bemerkte sie seinen Blick nicht einmal. Nicht nur daß sie jetzt verstand, was Cat tun sollte –sie hatte auch Janya wieder gesehen, zu kurz zwar, um etwas zu rufen, doch lange genug. Es kostete sie abermals Mühe, nicht ungeduldig an Ruzas Ärmel zu ziehen, während er sich blumig und umständlich von Azouf verabschiedete.
Kaum, daß sie draußen waren, sprachen sie gleichzeitig los.
„Cat soll den Wein vergiften!“
„Die Haktun wollen Burim Said und den Magistrat umbringen!“
„Wir müssen sie aufhalten!“
„Wie? Sollen wir zuerst Cat aufhalten oder Janya finden?“
„Hast du sie gesehen?“
„Ja, aber kurz nur.“ Kala überlegte einen Moment. „Ich denke, wenn ich mich konzentriere, kann sie mich hören. Cat kann warten; der Wein wird erst am Abend geliefert werden, bis dahin können wir Burim Said warnen. Aber Janya ist in Gefahr. Laß mich konzentrieren.“ Und sie hockte sich an der Hauswand nieder und konzentrierte sich nach innen, dorthin, wo sie ihre Schwester kurz gesehen hatte und jetzt etwas wie Nebel war. Vielleicht konnte sie ja...

„...hindurchgreifen.“
Der On’Haktun lächelte kalt, wie ein Schlächter bei der Arbeit.
„Eine feine Sache, nicht wahr? Das Kraut, das wir dir gaben, haben wir von derselben Frau, die uns auch verraten hat, was du bist. Oh, sie hat geweint, als sie es uns verriet, aber wir haben sie auch von ihrem Leid erlöst.“ Sein Lächeln ließ Janya das Blut in den Adern gefrieren. Es konnte nur die Telepathin gewesen sein, die ihr und Kala verraten hatte, daß da auch noch andere waren. Sie hatte den Schwestern noch gesagt, daß es ein Kraut gebe, das ihr Fähigkeiten unterdrücken könne. Janya hoffte nur, daß es schnell vorbeigewesen war.
Sie schlang die Arme um sich und drehte sich um ihre eigene Achse. Der Raum, in dem sie mit Duron, dem Oberhaupt der Geldeintreibergilde, allein war, war schmucklos, aber sprach von Macht. Die wuchtigen Möbel, der schwere Geldschrank und die Stelle im Mosaik direkt unter ihr, die schon abgewetzt war von den vielen, die hier schon, so wie sie jetzt, auf den Knien gelegen hatten. Seine Grausamkeit ließ sie schaudern. Er hatte vor, siebenundzwanzig Magistratsmitglieder und über vierzig Bürgerräte kaltblütig zu vergiften, mit der Hilfe ihres Cat. Sie konnte das nicht zulassen, wollte es verhindern, doch sah sie gerade keinen Weg, wie sie ihn hätte aufhalten können.
Fliegende Schritte durch dunkle Gassen... –Kala? Sie hustete und krümmte sich zusammen, um die plötzliche Überraschung auf ihrem Gesicht zu verbergen. Ja, der Nebel war dünner geworden. „Kala? Siehst du mich?“
„Glaube nicht, daß mich dein Gewinsel weich werden läßt“, knurrte der On’Haktun. Er packte sie bei den Haaren und zerrte sie auf die Füße an einen Spiegel neben dem Schreibtisch.
„Da, schau dich an, du Wurm! Leugne es nicht, du hast ...“

Angst. Kala blickte in das Gesicht ihrer Schwester, die saphirblauen Augen schreckgeweitet, eine haarige Pranke, die das schwarze Haar packte, und hinter ihr, in der Kluft der Haktun, ein Kerl, der Janyas Größe von gut sechs Fuß noch ein ganzes Stück überragte. Das mußte der On’Haktun sein! Sie hatte es geschafft! Sie hatte den Nebel zerrissen!
„Janya, bleib ruhig! Ich bin es! Wo bist du?“

„Im Hauptquartier der Haktun, nehme ich an. Kala, sie wollen...“

„Ich weiß Bescheid“, unterbrach die Schwester sie. „Was hat Duron vor, wenn Cat alles erledigt hat?“

„Ich weiß es nicht genau, aber er soll uns bei Sonnenaufgang am Galgen vor dem Westtor treffen. Kala, ich glaube nicht, daß wir das überleben werden! Aber Cat...“

„Er wird tun, was Ihr verlangt, Duron“, antwortete sie auf die Frage, ob Cat noch lange brauchen würde. „Ich bin sicher, er wird uns am Treffpunkt nicht warten lassen.“ Dann wandte sie den Blick wie angsterfüllt vom Spiegel ab und ließ die Schwester den Raum sehen, in dem sie war.
Im Spiegel, aus dem Augenwinkel, waren noch Durons grausame Züge mit einer hämischen Grimasse zu erkennen.

„Wir werden am Galgenberg auf euch warten“, sagte Kala. „Noch braucht er dich als Druckmittel für Cat, solange wird man dir nichts tun. Verrate dich jetzt nur nicht!“

„Worauf du wetten kannst“, erwiderte Janya und gab sich gleichzeitig Mühe, weiterhin ängstlich und verschreckt zu wirken.
„Dann werden wir jetzt aufbrechen“, knurrte Duron und schob sie grob vor sich her zur Tür, daß sie fast über ihren Umhang stolperte.
Draußen standen bereits fünf Haktun-Wachen mit Keulen und Kurzschwertern, die sie und den On’Haktun durch das Purpurne Paradies. Das Gebäude, Sitz der Haktun, hatte seinen Namen zum einen von der Farbe der Gilde. Und zum anderen... –einige Zungen behaupteten, man hätte es „Paradies“ genannt, um die tatsächlichen Zwecke des Hauses größtmöglich zu beschönigen. Eine der Wachen stieg zu ihr in die Sänfte, die auf der Straße wartete, und hielt ihr einen blanken Dolch an den Hals, damit sie auch ja nicht schreie, doch sie würde sicher nicht schreien. Statt dessen sah sie zum einen durch die Augen der Schwester, und zum anderen blickte sie durch einen Spalt in den Vorhängen hinaus.
Sie bewegten sich durch die allmählich überall geschäftiger werdenden Straßen, an abbauenden Nachthändlern und zu den Tagmärkten eilenden Kaufleuten vorbei, das Licht des heraufziehenden Sonnenaufgangs im Rücken.

Kala und Ruza eilten dem Westtor entgegen, so schnell es ihnen im doch nun schon recht hektischen Gewühl gelang. Sie lagen noch vor den Haktun, doch nicht weit, und manchmal sah sie sich selbst noch durch Janyas Augen um eine Ecke laufen, und der Abstand wurde kaum größer. Nur der Wille, schneller zu sein, gewährte ihnen noch etwas Vorsprung, auch wenn sie am Tor selbst unauffällig langsamer wurden, nur um kurz dahinter wieder loszusprinten.
Etwa eine halbe Meile erstreckte sich nun vor ihnen der Karawanenmarkt, der wie ein Ring die Stadt umgab. Die Händler, die hier in der Nacht mit den Edelsteinen und Metallen aus den Bergen gekommen waren, versuchten natürlich, so nah wie möglich an die Stadt zu kommen, und so waren die beiden rasch aus dem schlimmsten Gewühl raus und rannten bald fast alleine über den Straßenstaub, während Durons Leute mit der Sänfte sich gerade erst durch das Tor manövriert hatten. Nach einer weiteren Meile sahen sie vor sich den Galgen auf dem kleinen Hügel, in dessen zwei von fünf Schlingen je ein Mörder oder Straßenräuber hing. Kala trauerte nicht um sie; Raub war gleich hinter Mord das schlimmste Vergehen in Ragabash, und zurecht, in ihren Augen.
Einige Steinstufen waren auf der der Straße abgewandten Seite des Galgens errichtet worden, für Zuschauer bei besonderen Vollstreckungen. Dahinter duckten sie und Ruza sich, und Kala sah durch die Augen der Schwester, daß auch die Haktun nach Durchqueren der Menge am Rande der Stadt ein zügiges Tempo angeschlagen hatten. Die Sonne blitzte gerade einen ersten Strahl über die Gipfel der Roten Berge, und Janya schätzte, daß sie nicht mehr lange brauchen würden. Sie hielt auch Ausschau nach Cat, doch es war niemand zu sehen.

„Man sieht deinen Umhang, zieh ihn ran“ sagte Janya, als sie sich dem Galgenplatz näherten. Cat war noch nicht da, und war wohl auch nicht auf der Straße gewesen, sonst hätte Duron sicher etwas gesagt. Das Messer an ihrem Hals hatte sich nicht merklich bewegt, und sie konnte auch nicht in das Gesicht des Haktun in ihrem Rücken konnte sie auch nicht sehen. Aber ihre Hände waren nicht gefesselt –man hielt sie wohl noch für schwach und wehrlos. Jeder hielt die Beziehung zwischen ihr und Cat nur für eine merkwürdige Liaison, also konnte niemand, nicht einmal ihre Schwester von Cats Lektionen wissen, denn dabei hatte sie Kala ausgeblockt, wie sie es vor Jahren von ihrer Mutter gelernt hatten. Jetzt spannte sie sich etwas an, doch nicht zu sehr.
„Na, hast Angst, Kleine?“ Die Stimme an ihrem Ohr ließ sie erstarren. „Zapple ruhig noch ein wenig. Solange du noch kannst.“ Die Überlegenheit der Drohung in seinem Lachen machte sie wütend, doch sie blieb still. Sie brauchte eine Gelegenheit.
Die Sänfte bewegte sich links um den Galgen herum und bewegte sich an den Steinblock gegenüber dem, wo sie Kala sah. Duron kam an die Sänfte und schlug den Vorhang zurück, um Janya am Arm zu packen und auf die Steinstufen zu drücken.
„Bleib brav sitzen, Täubchen, dann geschieht vorerst nichts. Gebt ihr noch etwas von dem Sud!“ Damit ging er auf den Galgenhügel, boxte einen der Gehängten in die Seite und blickte die Straße hinunter. Seine purpurne Weste unter der schwarzen Jacke leuchtete weit genug, um jeden Neugierigen abzuhalten. Man mischte sich nicht in die Arbeit der Haktun.

„Da kommt Cat!“
Janya sah ihn zuerst, und Kala entdeckte ihn dann auch. Er trug einen lockeren, dunkelblauen Kaftan, nicht das Schwarz und Silber der Magistratsgarde, in dem sie ihn gewohnt war. Die Sonne war schon eine Handbreit über den Horizont gestiegen, und Durons Männer hatten sie schon vorfreudig betrachtet, als er von Westen her auf den Hügel zukam.
Kala und Ruza hatten keine Möglichkeit, sich zu bewegen, ohne von den Haktun entdeckt zu werden –ein Glück, daß sie von einer Untersuchung des Platzes abgesehen hatten, so selbstüberzeugt sie waren-, und Kala hoffte, daß Cat sie nicht verraten würde. Doch sein Blick flackerte nicht in ihre Richtung, nicht mit einer Miene verriet er die Anwesenheit von anderen außer ihm und den Menschen auf dem Hügel, sondern ging an dem Steinpodium vorbei, auf Janya und die Haktun zu.
„Kommst du auch endlich an?“ hörte sie die Stimme des On’Haktun.

„Ich mußte einigen vorlügen, daß ich die Berge wollte an meinen zwei freien Tagen, und ein Freund wollte mich noch ein Stück weit begleiten. Er hat mich erst am Fluß verlassen –und ich sollte ihn ja wohl kaum mitbringen?“
Cats volle Stimme scholl klar durch die Morgenluft, die schon wärmer zu werden begann. Er blickte zu Janya, und ihr Herz machte einen Sprung. Sie bemerkte keine Waffen an ihm, doch in seinem Blick erkannte sie, daß er einen Plan hatte. Also wartete sie ab, was er vorhatte.

Plötzlich spürte sie, wie das Bewußtsein ihrer Schwester in das ihre einrastete.

Duron: „Wie auch immer, hast du alles erledigt?“
Cat: „Habe ich. Nun laßt Janya gehen, und wir klären den Rest. Sie hat damit nichts zu tun.“
Ein Haktun packte Janya grob um die Hüfte und zückte ein Messer.
Kala spürte Wut.
Ruza packte den schmalen Dolch in seinem Gürtel.
Cat griff in den Kaftan.
Duron brüllte.
Aus dem wallenden Stoff flogen zwei Sterne auf Janya zu und blieben im Hals des Haktun stecken.
Sie stieß ihn von sich weg, und zwei andere stürzten auf sie.
Duron zog sein Schwert und ging auf Cat los.
Ruza sprang mit lautem Geschrei hinter dem Felsen hervor.
Zwei Haktun stellten sich ihm.
Kala rannte los zu ihrer Schwester.
Janya zog das Schwert des toten Haktun und hieb nach dem ersten, der auf sie eindrang.

Duron und Cat tauschten ein zwei, drei Hiebe, da sprang der oberste Geldeintreiber plötzlich zurück und versuchte, Kala zu attackieren. Sie wich aus, und da war Cat auch schon wieder über ihm. Sie setzten einander diesmal schwer zu, und Kala lief weiter zu Janya.
Ihr Herz hämmerte wie ein Schmiedehammer. Dies waren keine Übungen, und doch hatte Janya schon einen der zwei Wächter ausgeschaltet. Den zweiten hielt sie gerade in Schach.
Kala nahm die Keule des zweiten Haktun vom Boden auf.
Janya sah den rechten Moment. „Jetzt!“
Kala zog dem Gegner die Keule über den Kopf.

Sie fielen einander in die Arme, und spürten einander so intensiv wie nie zuvor, nicht nur das Bewußtsein der anderen, sondern als wäre jede zugleich in ihrem Körper und in dem der anderen. Doch es blieb keine Zeit für Erstaunen: Ruza wurde gerade von den anderen zwei Haktun überwältigt, als Duron sich abermals aus dem Kampf mit Cat löste. Der junge Gardist blutete zwar am Arm, doch nicht so sehr wie der On’Haktun aus noch mehr Wunden. Dennoch bewegte er sich schnell auf die Frauen zu, doch hatte er nicht damit gerechnet, daß Janya seine Schläge mit dem Kurzschwert parieren würde.
Kala auch nicht.
Sie spürte jede Bewegung des Schwertes, des Körpers ihrer Schwester, die Anspannung und die Aufregung und Wut in ihr, doch konnte sie es nicht selbst.
Durons Überraschung währte nicht lang. Noch war er ein ausgezeichneter Kämpfer, und er hatte sie schneller entwaffnet, als Cat wieder heran war. Er packte sie so fest, daß sie sich nicht mehr rühren konnte, und hielt seine Schwertspitze direkt an ihre Kehle.
Kala schrie auf.
Cat hielt ein.
Der Haktun, der nicht Ruza festhielt, trat hinter ihn, und entwand seiner plötzlich kraftlosen Hand die Klinge.
„Siehst du jetzt, daß ich gewinne?“ Durons Stimme zitterte hörbar, und das Blut auf seinem Gesicht ließ es zu einer häßlichen Fratze werden. „Wir können uns jetzt alle hier umbringen, und doch wird es nichts ändern. Der Wein ist präpariert, die Said werden sterben, und es wird kein Gesetz gegen die Macht der Haktun geben!“ Sein Lachen war bitter, aber nicht ohne Genugtuung. „Glaubst du denn wirklich, daß es nur die Haktun wären? Die Stadt wird von unten regiert, nicht vom Magistrat, und mir werden andere folgen!“

Kala spürte, wie das Schwert die Haut am Hals durchstach, sah, wie Blut daraus floß, und spürte Wut.

„Der Magistrat verliert seine Macht, Cat! Es hat schon vor diesem Reformer Burim begonnen, und nicht mehr lange, und es wird keinen Magistrat und keinen Bürgerrat mehr geben!“ Seine Stimme überschlug sich fast, und sie erbebte vor Wut. „Es wird einer kommen, der wird die Macht endlich so verteilen, wie es sich gehört!“ Die Wut steigerte sich, und sie konnte es kaum noch aushalten. Kala spannte sich, Janya spannte sich, und Duron packte sie fester. „Und die hier wird das erste Opfer für seinen Thron!“ Damit schob er die Klinge etwas tiefer in die Haut.

Kala konnte nicht mehr. Sie brüllte: „Soll dich der Blitz treffen!“
Und sie spürte ein Zischen und Brennen im Rücken und wie Hand und Schwert von ihr abfielen, sah den Blitz vor sich und wurde fortgeschleudert. Sie prallte gegen einen Galgenpfosten, gegen Cat, stürzte halb den Hügel hinunter, und dann.. –Schwärze.


„...werden wieder zu sich kommen, also beruhige dich endlich!“ Cats Stimme, mit der Geduld am Ende.
„Und wie kannst du dir da so sicher sein?“ Ruza, voller Sorge.
Janya schlug die Augen auf. Was war geschehen? Duron hatte sie erstechen wollen, und dann... –dann hatte Kala einen Blitz gerufen. Einen Blitz, geschaffen aus ihrer Wut, ihrer gemeinsamen Verbindung.
Ruckartig setzte sie sich auf. Direkt neben ihr lag ihre ihr überhaupt nicht ähnliche Zwillingsschwester, so viel kleiner und zierlicher als sie selbst, mit dem kurzen roten Haar, wo ihres lang und schwarz war, und rührte sich nicht. Doch sie atmete, aber Janya wußte auch so, daß Kala lebte. Das Gefühl für ihre Verbindung war jetzt zehnmal stärker als zuvor, und sie konnte genau spüren, daß die andere zwar geschwächt war, aber nicht verletzt, und daß ihre Bewußtlosigkeit ein tiefer Schlaf der Erholung war.
Cat blickte zu ihr, und sie konnte fast schon hören, wie ihm nicht nur ein Stein, sondern eine ganze Lawine vom Herzen fiel. Offenbar war er sich trotz seiner Worte nicht so sicher gewesen. Und obwohl ihm ihr Herz zuflog, als er jetzt strahlend auf sie zukam, wehrte sie seine Hände ab und stand alleine auf. Etwas war anders.
Sie hörte genau, was Cat dachte. Seine Erleichterung, sie auf den Beinen und offensichtlich gesund zu sehen, und zugleich seine Verwirrung, daß sie seine Hand zurückgewiesen hatte. Und Ruza... Ruza achtete überhaupt nicht an sie, er hatte nur Augen für Kala, und seine Gedanken waren voller Sorge um sie. Janya konnte die Gedanken beider so klar verstehen als ob sie sie laut aussprächen. Und dann, über ihr Erstaunen hinweg, wurde ihr klar, was Cat gerade dachte.
„Was ist nur mit ihr geschehen? Warum sieht sie mich an wie einen Fremden?“
„Oh nein, Liebster“, sagte sie und ging lächelnd auf ihn zu, „du bist mir kein Fremder. Im Gegenteil, du bist mir näher denn je.“ Und in dem Moment, als sie die Erkenntnis in seinem Geist erblühen hörte, spürte sie auch das Erwachen ihrer Schwester.
Bevor Kala ein Wort sagen konnte, hatte Janya ihr im Geiste die Geschehnisse erklärt, und sie spürte, daß die Schwester dasselbe Erlebnis hatte wie sie nur wenige Augenblicke zuvor. Sie teilten die Freude über diese neue Erkenntnis, und waren froh, einander wieder sehen zu können. Zwar nicht in dem innigen Einssein, das sie vor dem Blitz erlebt hatten, doch sie wußten, daß sie diesen Zustand wieder erreichen konnten.

„Nein, Ruza“, sagte Kala auf seine Gedanken hin, „das waren nicht die Götter. Das war wirklich ich. Die Frau, die Duron ermorden ließ, sagte uns, daß so etwas möglich sei, daß wir vielleicht auch das Talent hätten, das Wetter zu bestimmen, oder auch die Elemente zu rufen. Wie es scheint, habe ich dieses Talent.“ Und dann erst öffnete sie die Augen und setzte sich auf, um einem nur langsam begreifenden Ruza ins Gesicht zu blicken. Ihr Herz war voll mit seiner Liebe, doch anders als Janya zeigte sie es nicht.
„Wie es scheint, habe ich ein Talent gefunden, so wie meine liebe Schwester wohl ihre Begeisterung für den Waffenkampf entdeckt hat.“ Jetzt wußte sie auch, was Janya immer getrieben hatte, wenn sie sich bei Cat wegblockte. „Nur was machen wir jetzt mit unseren Gaben? Duron...“
Ihr Blick fiel kurz auf die Stelle, wo der Blitz eingeschlagen hatte, und sie schauderte. Vom On’Haktun war nichts übrig geblieben, und seine Wachen lagen tot um die Einschlagsstelle. Von der Straße kam auch kein Neugieriger herauf, denn Ragabash hatte den Ruf, daß zuviel Neugier ungesund sein konnte.
„Duron, sagte, er wäre nicht allein, und er sprach von einem, der kommen werde. Wir wissen nicht, was er damit meinte, aber es bedroht unsere Stadt. Und woher wußte er von unserem Geheimnis? Es sind zuviele Fragen noch offen, die er uns nicht mehr beantworten wird. Was also werden wir tun?“
Janya seufzte, als ihre Schwester ernst in die Runde blickte. Kala war schon immer die pragmatischere von ihnen gewesen. „Ich werde der Garde des Magistrats beitreten.“
„Was?!?“ Der fassungslose Ruf kam aus drei Mündern und drei Geistern zugleich.
„Ich sehe, ihr seid überrascht. Ja, ich will der Garde beitreten. Während des Kampfes habe ich mich so lebendig gefühlt wie nie, und ich bin überzeugt, das ist es, wofür ich geboren wurde. Ich glaube, heute war der Tag unserer Bestimmung, Schwester.“
Kala nickte, und es war, als wäre damit etwas beschlossen. Vielleicht war es das.
„Dann sei es so. Doch nun denke ich, haben wir noch etwas zu erledigen. Burim Said wollte heute abend ein Fest feiern, glaube ich, und wir sollten verhindern, daß es zu einem Massenbegräbnis wird.“ Damit raffte sie ihre Röcke und ging los.
Die anderen folgten ihr, Janya und Cat Arm in Arm, und Ruza stumm, nur mit dem Gedanken, daß er wohl gerade etwas wie ein Wunder erlebt hatte. Sie gingen auf die Stadt zu, deren laute, hektische Märkte am Tag und in der Nacht vor Leben pulsierten, und die sie alle eben, ohne es auszusprechen, zu schützen versprochen hatten.




© by Oile 2005
 

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Either you're well, or you're sick.

If you're well, there's nothing to worry about.

If you're sick, there are two things to worry about:

Either you get well, or you die.

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If you go to Heaven, there's nothing to worry about.

If you go to Hell, you will be so damn busy shaking hands with your friends, you won't have time to worry.
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